Die Digitalisierung Made in China – Sieben Kernthemen

Künstliche Intelligenz und digitale Transformation gelten als DIE Schlüsselthemen des 21. Jahrhunderts und China ist auf gutem Weg, hier Weltmarktführer zu werden. Aber was macht diese „Digitalisierung Made in China“ aus? Welche Schwerpunkte und Entwicklungen sind dafür charakteristisch? Das erfahren Sie anhand der folgenden sieben Kernthemen aus dem Buch „Digitalisierung Made in China – Wie China mit KI und Co. Wirtschaft, Handel und Marketing transformiert.

1. Die Digitalisierung bestimmt unsere Wirtschaftswelt bereits in ganz hohem Maße

Daten sind das neue Öl. Diesen Satz hört und liest man neuerdings überall. Doch warum ist das so?

Waren über weite Teile des 19. und 20. Jahrhunderts Öl und seine Derivate wie Kerosin und Benzin die Treibriemen der weltweiten Wirtschaft, sind es nun Daten: Die drei weltweit größten Unternehmen nach Marktkapitalisierung fußten noch im ersten Quartal 2008 ihre Angebote hauptsächlich auf Öl: Exxon Mobil (Platz 1) und Petrochina (Platz 2) fokussierten klar auf Öl, General Electrics (Platz 3) deckte Öl-basierte Segmente wie Energie, Öl und Gas, Luftfahrt, Gesundheit, Transport und Licht ab.

Nur zehn Jahre später hatte sich das Bild komplett gewandelt. 2018 waren Apple, Alphabet (der Mutterkonzern von Google) und Microsoft die weltweiten Top-3-Unternehmen (Financial Times, 2018). Auch acht der 10 weltweit größten Firmen in 2020 sind rein datengetriebene Geschäftsmodelle. Denn wer Daten hat und diese gut analysiert, versteht KundInnenwünsche besser und kann daraufhin bessere Angebote erstellen als der Wettbewerb. Wer Daten und Analysefähigkeit hat, hat Wirtschaftsmacht. Deshalb wird allgemein gesagt, dass Daten das neue Öl des 21. Jahrhunderts seien. Übrigens: Wenn Daten das neue Öl sind, dann ist Künstliche Intelligenz der Motor.

2. Künstliche Intelligenz ist die nächste S-Kurve in der Digitalisierung

Wissen Sie, wann der Tag da ist, an dem eine Maschine alle Fähigkeiten, die ein Mensch hat, nachbilden kann?

Wir auch nicht – aber es gibt schon einen Begriff dafür – die sogenannte Singularität. Interessant ist dabei, dass viele der KI-basierten Anwendungen wie hören, sehen, sprechen erst in den 2000er-Jahren entwickelt wurden und auch erst vor ein paar wenigen Jahren für eine breite Öffentlichkeit erste Erfolge sichtbar wurden. Diese Erfolge – etwa, dass ein Computer einen Hund von einem Muffin unterscheiden kann – wirkten zunächst noch sehr fehlerhaft und ungenau. Aber, anders als ein Mensch, lernt KI exponentiell. D.h. es beginnt gefühlt sehr langsam, die Lernerfahrung wird aber immer schneller, und zum Schluss überholt eine KI die menschlichen Fähigkeiten nicht nur rasant schnell (also exponentiell), sondern schlägt sie auch um Längen. Menschen neigen dazu, exponentielles Wachstum zu unterschätzen. Der Tag der Singularität könnte also schneller kommen, als sich das der Eine oder Andere heute vorstellen kann.

3. Chinas Wirtschaft ist auf der Überholspur

Häufig wird gesagt, etwas sei so unwichtig wie der Sack Reis, der in China umfalle. Aber warum ist das so? Und stimmt das noch?

Das hat vor allem damit zu tun, dass China zwischen ca. 1840 und 1980 im Vergleich zu anderen Nationen nicht weltführend in der Wirtschaft war. Dies ist gerade die Periode, in der die USA eine Vorreiterrolle übernahmen, während und nachdem europäische Mächte Kolonialstaaten bildeten oder wie England, ganze „Empire“ ausbildeten, u.a. auf Kosten von Afrika und Asien. Unser heutiges europäisches Bild ist noch von dieser Phase geprägt: USA und Europa wirtschaftlich vorne, der Rest weniger.

Nur: In den rund 1.000 Jahren vor 1840 war China wirtschaftlich führend. Große Erfindungen kamen aus dem Reich der Mitte, das Bargeld und das Schießpulver z.B. Und: China holt im Weltvergleich gerade wieder auf und wird absehbar in vielen Bereichen die führende Nation werden. Es stimmt also nicht (mehr), dass etwas so unwichtig sei wie ein Sack Reis, der in China umfällt. Im Gegenteil – wir tun gut daran, genau zu beobachten, was und wie China sich gerade entwickelt. Vielleicht kommt die nächste bahnbrechende Innovation wieder aus China.

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4. China hat gute Chancen, bis 2030 weltführend bei KI zu werden

China wird aller Voraussicht nach auch bei KI und der Digitalisierung weltführend werden. Dafür gibt es drei Gründe:

Erstens: Viele Einwohner, viele Daten

China hat mit 1,4 Mrd. Einwohnern die größte Bevölkerung der Welt. Fast eine Milliarde Menschen sind mobile only unterwegs, d.h. sie sind online und das mit dem Smartphone. Daraus entsteht eine sehr große Menge an unstrukturierter Nutzungsdaten, die neue Erkenntnisse über Bedürfnisse des Alltags für Händler und Hersteller bringen können, wenn man sie richtig analysiert.

Zweitens: Ein Datenschutz, der das verknüpfte Analysieren von Daten erlaubt

China hat ein Datenschutzgesetz, das es stärker als in Europa und in den USA erlaubt, Daten verknüpft zu analysieren. Vereinfacht ausgedrückt schützen Europa und die USA die persönlichen Daten ihrer BürgerInnen vor einer ungewollten Datennutzung durch Firmen und den Staat. In China werden die Daten der BürgerInnen hauptsächlich vor anderen Staaten geschützt. NutzerInnen stimmen nur einmal einer Nutzung ihrer Daten durch eine Firma zu und diese Firma darf dann relativ breit und verknüpft diese Daten analysieren. Kombiniert mit KI entstehen dadurch tiefere Insights zu Kundenwünschen als in anderen Staaten. Zwar verschärft China gerade seit 01.01.2021 den Schutz der persönlichen Daten und im Laufe des Jahres kommen aller Voraussicht nach noch zwei weitere Datenschutzgesetze hinzu, dennoch bleiben die Analysemöglichkeiten für chinesische Firmen größer als die anderer Firmen.

Drittens: Ein klarer Fokus der Regierung auf die Entwicklung von KI

Die Einparteienregierung in China hat einen eigenen 5-Jahres-Plan für KI entwickelt. Das erklärte Ziel: China will bis 2030 weltführend bei KI sein. Bestandteil dieser Strategie sind viele, sehr detaillierte Maßnahmen. Und: China gibt zwar in etwa so viel Geld für die Grundlagenforschung von KI pro BürgerIn und Jahr aus wie Deutschland – aber Chinas Gesamtbevölkerung ist rund 17-mal größer als die Bevölkerung Deutschlands.

5. China schützt Daten – nur anders als der Westen

Häufig wird angenommen, China habe keinen Datenschutz. Das ist nicht richtig. China schützt Daten nur anders als der Westen.

Während der Westen, z.B. mit der DSGVO in Europa persönliche Daten vor Firmen, dem Staat und fremden Staaten schützt, schützt das sogenannte Data Security Law von 2017 in China persönliche Daten vor fremden Staaten, aber nicht in demselben Maße vor Firmen oder dem eigenen Staat. Zum 01.01.2021 ist in China das erste Zivilgesetzbuch der Volksrepublik in Kraft getreten, das unter anderem einen Teil zu Persönlichkeitsrechten beinhaltet und ein neues Zeitalter für das chinesische Zivilrecht einläutet. Nun kann in China gegen den Missbrauch von personenbezogenen Daten geklagt werden. Dennoch bleibt die Möglichkeit für Firmen, mit dem Einverständnis ihrer KundInnen Daten zu analysieren, größer als die von europäischen Firmen unter der DSGVO. Und ChinesInnen sind zu einem viel höheren Maße bereit, ihre persönlichen Daten mit Firmen zu teilen, wenn sie dafür einen Mehrwert, z.B. einfachere Nutzung einer App oder eines Angebotes, zurückbekommen.

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6. Plattform-Ökosysteme und Super-Apps sind die Motoren der Entwicklung

WeChat ist das chinesische WhatsApp. Haben Sie das auch schon mal gehört?

Das stimmt nicht. Das ist ungefähr so wie zu sagen, ein Airbus sei wie ein Fahrrad, nur schneller. In einigen Branchen in China kann man den Mehrwert der fortgeschrittenen Digitalisierung und KI bereits ablesen. Vor allem in Handel, Finanzdienstleistungen, FMCG und Medienangebote sowie im Reisemarkt wird dies sichtbar. Besonders in den vier erstgenannten Bereichen in China fällt auf, dass hier Angebote bereits in gemeinsame Plattformen zusammenwachsen, die Anbieter also bemüht sind, ihre Leistungen zu kombinieren, um mehr Daten auf der einen Seite und eine integrierte KonsumentInnenerfahrung auf der anderen Seite zu generieren. Hier entstehen sogenannte Plattform-Ökosysteme, wie z.B. WeChat oder Alibaba, die sich deutlich von westlichen Plattformen unterscheiden. WeChat ist eine sogenannte Super-App: UserInnen nutzen diese App für die Organisation ihres gesamten digitalen Alltags, als Messenger, als digitales Portemonnaie, um Kredite zu bekommen, Flugtickets zu buchen, Parktickets zu bezahlen, um die Steuererklärung zu erstellen, ein Visum zu beantragen und vieles mehr. Der Vorteil der Plattform-Ökosysteme: Die Anbieter kennen nahtlos die gesamte Customer Journey ihrer NutzerInnen. Ohne Brüche von der Empfehlung, über die Suche bis hin zum digitalen Bezahlen. Dadurch können Firmen auf diesen Plattformen ihre NutzerInnen exzellent verstehen und sehr passgenaue Angebote machen.

7. In China entstehen ein New Retail und ein New Marketing

Angestoßen durch die Digitalisierungsmöglichkeiten entwickeln sich gerade Industrien und Disziplinen weiter.

Beispiel Handel: Hier entsteht gerade aus dem „normalen“ Handel ein sogenannter New Retail, also ein digitalisiertes Frontend und zunehmend auch eine digitale Wertschöpfungskette. Für KundInnen bedeutet das ein bequemeres und interessanteres Einkaufen und die Grenzen zwischen Online- und Offline-Shopping verschwimmen. KundInnen kaufen auch im Geschäft mit dem Smartphone ein – oder sind beim Onlineshoppen in einer 3-D-Welt. HändlerInnen können so effektiver und effizienter verkaufen, u.a. weil der Warenbedarf viel besser vorhergesagt und automatisch bestellt werden kann. Sowohl out-of-stock-Situationen als auch verderbende Waren aufgrund von geringeren Verkäufen als prognostiziert können so vermieden werden.

Beispiel New Marketing: Marketing geht immer als erstes vom KundInnenwunsch aus. Wer KundInnen besser versteht als der Wettbewerb, hat einen Vorteil. Plattform-Ökosysteme bieten die Möglichkeit, NutzerInnen tief und vor allem nahtlos über die gesamte Customer Journey zu begleiten und so über Wünsche und Bedürfnisse mittels KI zu lernen. Das ist neu. Auch neu ist, dass diese Analysen in Echtzeit erfolgen. Damit ändern sich zwei substantielle Dinge: Zum einen ändert sich die Geschwindigkeit, in der MarketingmanagerInnen agieren (müssen) – ein Marketing in Echtzeit entsteht. Zum anderen werden KundInnen anspruchvoller. Sie gewöhnen sich zunehmend an das nahezu perfekte Angebot – wann sie es wollen, wie sie es wollen, zu einem Preis, der zu ihnen passt. Wer auf diesen neuen KundInnenanspruch nicht rechtzeitig, d.h. in Minuten, nicht Tagen, reagiert, verliert. Marketing in Echtzeit ist das „new“ in New Marketing.

Sie möchten mehr über die Digitalisierung Made in China lernen?

Das gerade erschienene Buch von Alexandra Stefanov, Prof. Dr. Claudia Bünte und Till-Hendrik Schubert widmet sich den wichtigsten Fragen rund um die Digitalisierung. Es beleuchtet die Entwicklung in China für Wirtschaft, Handel und Marketing und lässt über 20 ExpertInnen praxisorientiert von ihren Erfahrungen im Reich der Mitte berichten. Außerdem gibt es Tipps dazu, wie sich europäische ManagerInnen auf die Herausforderungen einstellen können, die sich aus dieser chinesischen digitalen Transformation ergeben. Hier erhalten Sie weitere Informationen zum Buch.

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11.05.2021

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